Kritische Fragen
Über die Sinnhaftigkeit von Entwicklungshilfe – Eine Stellungnahme von Dr. med. Etta Jeremie
Der Sinn von Entwicklungshilfe besonders in Afrika wird gerade in heutiger Zeit zu Recht immer wieder kritisch infrage gestellt. Auch für uns ist es sehr wichtig, uns abwägend damit auseinander zu setzen, inwieweit Hilfe von außen - die beim Aufenthalt in Tansania so sehr dringlich erscheint – wirklich sinnvoll ist.
Aus diesem Grunde habe ich viele Gespräche auch mit Soziologen geführt und Literatur recherchiert. Als sehr qualifiziert empfand ich die Einlassungen und kritischen Diskussionen von Dambisa Moyo in ihrem Buch „Dead Aid“. Einige inhaltliche Gedanken zu diesem Buch möchte ich hier in meiner persönlichen Zusammenfassung wiedergeben und unser Engagement im Vergleich hierzu kritisch werten.
Zusammenfassende Gedanken aus dem Buch „Dead Aid“ von Dambisa Moyo (40 J., Ökonomin, Bankerin aus Sambia):
Die langdauernde „Entwicklungshilfe“ ist für Afrika ein politisches, ökonomisches und humanitäres Desaster.
Sowohl
A) Humanitäre Hilfe z.B. bei Naturkatastrophen als auch
B) Karitative Hilfe durch gemeinnützige Organisationen
sind kritisch zu betrachten aus folgenden Gründen:
- Oft schlechtes Management
- Hohe Verwaltungskosten
- Häufig keinerlei lokaler Bezug
- Zerstörung der Infrastruktur durch Einführung von Hilfsgütern, die auch vor Ort produziert werden oder produziert werden könnten
C) Systematische wirtschaftliche „Entwicklungshilfe“ durch direkten Transfer von Geldern oder Hilfsmitteln an Regierungen in Afrika führt zu Korruption, Lähmung der Eigeninitiative, Einschränkung oder Blockade vorhandener geistiger, politischer, ökonomischer Ressourcen mit der Folge einer kontraproduktiven erheblichen lokalen Entwicklungsbehinderung.
Hierzu persönliche Bemerkungen zu unseren Projekten
Unser Engagement fällt unter den Punkt B) und insgesamt ist dazu zu bemerken, dass wir in unserem Konzept die aufgeführten Fehler grundsätzlich vermeiden wollen, wobei wir in einigen Punkten durch Erfahrung dazu lernen mussten:
- Wir führen grundsätzlich keine Hilfsgüter ein, sondern erwerben sie vor Ort, um die lokale Infrastruktur zu fördern
- Unser Engagement ist direkt aus einem lokalen Bezug heraus entstanden
- Wir haben nur sehr geringe Verwaltungskosten
- Ich halte unser Management entsprechend der bisherigen, bereits erreichten guten Ergebnisse für äußerst suffizient
Afrika, ein verlorener Kontinent?
Der afrikanische Kontinent wird oft in seinen Möglichkeiten und Ressourcen verkannt und das Erleben dieser Welt und Zusammenleben mit diesen Menschen zeigt deutlich die vorhandenen Chancen. Der Kontinent kann und darf auch unter ganz anderen Aspekten betrachtet werden.
Zusammenfassende Gedanken aus dem Buch von Reimer Gronemeyer und Matthias Rompel "Verborgenes Afrika"- Alltag jenseits von Klischees
Afrika ist ein von der Natur begnadeter Kontinent, in dem die Menschen Überlebenserfahrung haben in Urwald und Wüste und eine ungeheure Kreativität in der Selbstversorgung. Der Bau von Unterkünften aus Naturmaterialien sowie Gemüse- und Obstanbau für den Eigenbedarf (Subsistenzwirtschaft) sind Beispiele hierfür. Es gibt soziale "Wunderwerke" von gewachsenen sozialen Nachbarschaftsstrukturen; aber natürlich gibt es auch - wie überall auf der Welt - Konflikte, Leid und Gewalt. Aber es gibt andererseits ein großes "manpower" Potential zur Nutzung aller Ressourcen einschließlich der reichen Bodenschätze. Es ist nicht zu leugnen, dass die Hilfsbedürftigkeit des Kontinents v.a. Folge ist von Plünderungen und Interventionen "westlicher" Gesellschaften.
Für mich ergibt sich aus allen kritischen Erwägungen folgende Konsequenz:
Afrika ist kein verlorener sondern, ein oft verkannter Kontinent mit allen Chancen für seine Bewohner. Diese Chancen möchten wir vergrößern, indem wir den nächsten jungen Generationen auf ihrem Weg helfen im Sinne der "Hilfe zur Selbsthilfe". Und ich denke, dass eine fruchtbringende Unterstützung möglich ist durch individuelle Förderung und Begleitung vom Kleinkindalter bis zum Ende der Schul- und Berufsausbildung, sodass die Kinder und Jugendlichen die Möglichkeit zu einer selbst bestimmten Lebensführung bekommen und ergreifen.
Unter diesem Aspekt möchte ich unser Engagement gewertet sehen.
25.07.2016 Dr.med. Etta Jeremie